Zeitenwende: Wie Marken jetzt agieren können

Gerade erst schien Corona überwunden, da sahen sich die Deutschen schon mit dem Angriffskrieg in der Ukraine, steigenden Energiepreisen und der galoppierenden Inflation konfrontiert. Was diese Belastungssituation mit den Verbraucher:innen macht, war Thema beim Screenforce Expertenforum Ende Oktober 2022. 

Die Stimmung in Deutschland bleibt angespannt. Beim 2. Screenforce Expertenforum verschafften Expert:innen von Verbänden, Forschungsinstituten und werbungtreibenden Unternehmen einen Überblick über die Lage und erläuterten, welche Anforderungen die Krise an die Verbraucher:innen, an Marken und deren Kommunikation stellt. Videos und Präsentationen aller Vorträge finden sich auf der Screenforce Website.  

Zu den Vortragenden gehörte auch Birgit Langebartels. Die Diplom-Psychologin ist Leiterin "Gender & Generation" beim Kölner Markt- und Medienforschungsinstitut rheingold. In ihrer Präsentation verschaffte sie den Teilnehmer:innen des Expertenforums fundierte Einblicke in die Seele der Verbraucher:innen in Deutschland und gab konkrete Tipps dazu, wie Marken jetzt agieren sollten. 

Was machen permanente Krisen mit Menschen? 

Langebartels erläuterte anhand der Insights aus psychologischen Tiefeninterviews, dass es sich zwar um eine Gemengelage handele, die Auswirkungen und der Umgang mit den verschiedenen Krisen aber unterschiedlichen "Logiken" unterworfen seien. So hätte der russische Angriff auf die Ukraine die Deutschen Anfang des Jahres zunächst in eine Schockstarre versetzt, die sich aber auf Dauer nicht halten ließ. Es gab starke Solidaritätsbekundungen am Anfang, es wurde sehr viel gespendet, es wurde sich gemeinsam für (oder gegen) die Ukraine ausgesprochen – doch dann habe man nach und nach versucht, den Krieg aus dem Alltag auszublenden, um überhaupt einen Umgang damit finden zu können. Aber was verdrängt werde, sei nicht weg, sondern wirke weiter – die Befragten hätten dies als ein "Brodeln im Untergrund" beschrieben.  

Die Corona-Pandemie folgte dagegen einer anderen seelischen Logik: Die Krise entwickelte sich exponentiell und dementsprechend schnell hätten auch die Ängste zugenommen. Der Klimawandel wiederum folge psychologisch eher einer linearen Logik: Dass die Erderwärmung um 1,5 oder 2 Grad zunehme sei – psychologisch gesehen – fast etwas "Beruhigendes". Denn langsame Veränderungen merke man gar nicht so richtig und das führe zu einer Tendenz des Aussitzens. 

Der Umgang mit Energiekrise und Inflation würde dagegen eher einer "Überflutungslogik" entsprechen: In den nächsten Wochen komme etwas sehr Unberechenbares auf uns alle zu  –  und das mache Angst. Man sehe zwei Tendenzen in der Bevölkerung: Auf der einen Seite gäbe es Menschen, die sich gegen die kommende Krise aktiv wappnen –  auf der anderen Seite gäbe es aber auch solche, die versuchten, sich die Sorgen und Nöte einfach nur "vom Leib zu halten".

"Wir haben eine Krise mit einem unklaren Ausmaß unbestimmter Dauer. Wir wissen nicht, müssen wir uns nur einen warmen Pulli anziehen oder bricht die ganze Wirtschaft zusammen, wird es über den Winter dauern oder gegebenenfalls mehrere Jahre?"  
Birgit Langebartels, Leiterin "Gender & Generation", rheingold

 

Hilfe und Unterstützung im Umgang mit dem Diffusen 

Marken könnten in Zeiten des ungewissen Übergangs viel tun, um die Menschen zu begleiten. Dabei müsse man die unterschiedlichen Arten, wie die Krise die Menschen bedrohe, berücksichtigen: 
 

  • Menschen, die auch schon vor der Krise am Existenzminimum waren und sich jetzt in einer existenziellen Sackgasse befinden. 
     
  • Menschen, die eine bereits eine gewisse "Alltagsnot" spüren und Abstiegsängste oder sogar große Sorge vor Armut hätten.  
     
  • Menschen, für die sich die Krise bislang als unbestimmte Drohkulisse darstelle und anfingen zu sparen – nicht, weil sie es müssten, sondern um sich gegen die Krise zu wappnen. 
     
  • Menschen, die sich auf Grund ihrer finanziellen Verhältnisse im Grunde "das Sparen sparen können". Manche fühlten sich von der Pflicht des Sparens enthoben und verständen nicht, warum sie Solidarität zeigen sollten. 

 

Sparen habe ganz unterschiedliche Bedeutungskontexte: Es wäre keineswegs immer eine Belastung – durch erfolgreiches Sparen könne man z.B. auch Kontrolle über das Leben zurückerlangen. Sparen könne auch ein Ausdruck der Solidarität sein, man könne sich dadurch aber auch moralisch erheben. Und manche würden jetzt auch entdecken, dass mit geringeren Ausgaben auch eine höhere Resilienz einhergehe. 

Das Signal der Marken: Präsenz, Verlässlichkeit und Transparenz 

Wie können Marken in der Krise agieren? Sie können Verbraucher:innen zeigen, dass sie auch in Krisenzeiten an ihrer Seite stehen. Die folgenden Punkte könnten z.B. Themen der Kommunikation sein:  

  • Stabilisierung: 
    Den Menschen ist zum Teil der Boden unter den Füßen weggerissen worden. Marken können signalisieren "Ich stabilisiere dich in deinem Alltag." 
     
  • Erhaltung: 
    Man muss nicht auf alles das, was lieb und teuer ist, von heute auf morgen verzichten – man kann (sich) auch etwas für die Gegenwart und für die Zukunft erhalten. 
     
  • Zukunft: 
    Der Aspekt des Mutmachens: Eine Krise ist gekennzeichnet durch einen Anfang und ein Ende. Marken können einen Ausblick in eine Zukunft zu schaffen, die wieder positiv ist. 
     
  • Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass den Menschen Selbstwirksamkeit und Kontrolle extrem wichtig sei. Das Stürmen der Baumärkte, das Basteln und Werkeln seien Ausdrücke der Suche nach Selbstwirksamkeit. 

 

Bitte keine erhobenen Zeigefinger

Ganz im Gegensatz dazu ständen die aktuellen, gut gemeinten Vorschläge zur Energieeinsparung, wie kürzeres Duschen oder die Benutzung von Waschlappen. Solche Tipps entmündigten letztlich. Menschen wollen nicht, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird, was angemessen ist. 

Wie also kommuniziert man besser? Indem man den Verbraucher:innen ein Gefühl von eigener Kontrolle über die Geschehnisse vermittelt: Man ist nicht allein in der Situation, sondern sitzt mit 80 Millionen anderen gemeinsam in einem Boot und bestimmt mit über das gemeinsame Schicksal. Manches wird sich verändern, aber vieles bleibt auch gleich. Es wird nicht alles genommen. 

Beispiel Waschmittel: Wenn vertraute Marken damit werben, auch bei 30 Grad die Wäsche sauber zu bekommen, können die Verbraucher:innen diesen Marken weiterhin vertrauen – und verändern zugleich auch etwas zum Guten. Das Versprechen stabilisiert, das Handeln entlastet.  

Mut machen! 

Gerade traditionelle Marken haben die DNA, in diesen Zeiten einen positiven Ausblick in die Zukunft zu vermitteln. Denn sie haben ihre Wandlungsfähigkeit in der Geschichte immer wieder bewiesen. Allein ihre Präsenz signalisiert, dass man Unwetter überstehen und sich über die Jahrzehnte treu bleiben kann. Dass es kein Problem ist, wenn man sich behutsam  wandelt, und so Krisen übersteht. 

Natürlich kann nicht jede Marke jede Botschaft kommunizieren. Hier hilft die Forschung: Wie verorten Verbraucher:innen die Marke, welche Alltagsunterstützung leisten die Produkte? Was dient dazu, den persönlichen Stil auszudrücken? Welche Produkte vermitteln Schutz und welche Marken helfen dabei, sich zu entwickeln? Im Mittelpunkt der Kommunikation sollte die Frage stehen: Wie kann die Marke den Menschen helfen, durch diese Krise hindurch zu kommen? 

Der ausführliche Vortrag von Birgit Langebartels findet sich auf der Website von Screenforce. Über den Vortrag von Prof. Marcel Fratscher, Ph.D. (DIW Berlin) zur Einordnung der wirtschaftlichen Situation berichteten wir in der Research Newsletter-Ausgabe im November 2022.

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