Lernende Maschinen und denkende "Wetware"

Christian Scheier / Dirk Held: Künstliche Intelligenz in der Markenführung – Der effiziente Weg den Erfolg von Marken zu steuern

Vor vierzehn Jahren veröffentlichten die Marktforscher Dr. Christian Scheier und Dirk Held ihr Buch "Wie Werbung wirkt" – und erklärten damit der deutschen Fachöffentlichkeit, wie das Gehirn funktioniert und warum man sich im Marketing damit beschäftigen sollte. Damit machten so den Begriff Neuromarketing hierzulande populär und starteten ihr eigenes erfolgreiches Beratungsunternehmen für Marken.

Jetzt haben sie ein neues Werk verfasst, dass sich auf den ersten Blick mit einem ganz anderen Thema beschäftigt: Künstliche Intelligenz. Auf den zweiten Blick ist dies aber eine logische Weiterführung der früheren Arbeit: Um künstliche Intelligenz oder K.I. zu verstehen, muss man eine Vorstellung haben, wie die das menschliche Gehirn funktioniert. Denn einer der wichtigsten Prozesse, der sowohl auf der Hardware des Computers wie der Wetware unseres Denkorgans laufen muss, ist das Lernen. Die Struktur der künstlichen Intelligenz ist denen der natürlichen nachempfunden: Muster erkennen, Kategorisierungen vornehmen, Verbindungen herstellen, aus der Erfahrung schlauer werden.

Die Autoren erklären kühl und sachlich die Grundlagen: zum Beispiel den Aufbau neuronaler Netze, die Bedeutung von Trainings-Daten, den Unterschied zwischen supervisierten Lernen und Lernen durch Verstärkung, die heute gängigen K.I.-Techniken wie maschinelles Lernen oder deep learning. Erläutert wird alles an Beispielen aus dem Marketing. Werbemittel, Produktbewertungen, Konsumentenfeedback – das sind die Forschungsobjekte, aus denen automatisierte Prozesse Muster und Erkenntnisse gewinnen sollen. Sie müssen erst einmal in Daten überführt werden – Routineaufgaben, bei der die Tools der künstlichen Intelligenz helfen können, wenn sie richtig trainiert werden.

Doch Scheier und Held gehen noch weiter: Grundlegende Aspekte der Markenführung können mit K.I. unterstützt werden. Im zweiten Teil des Buches zeigen sie Beispiele dafür: Wettbewerbsanalysen, Optimierung von Werbemitteln, die Sprache der Konsumenten sprechen, Markterfolg vorhersagen. In den Niederungen des Online-Marketings, geprägt von Ad Tech und Conversion-Generierung, geben sich Scheier und Held gar nicht erst ab, ihr Interesse gilt der klassischen Markenführung. Das macht ihr Buch interessant und liefert eine ergänzende Perspektive zu anderen Büchern auf dem Markt, die uns die Segnungen des automatisierten Marketings nahebringen möchten.

Eine marktschreiende Euphorie strahlt das Werk nicht aus, die Autoren sehen K.I.-Anwendungen vielmehr als "smarte Assistenten", welche die Arbeit der Markenberater und Brand Manager unterstützen und nicht ersetzen. Allerdings zeigen sie, dass selbst solche, oft als rein menschlich angesehene Talente wie Kreativität und Innovationskraft durch K.I. profitieren. Mit einem informativen Kapitel über die Durchführung von K.I.-Projekten und die Implementierung entsprechender Tools in den Marketingalltag endet das Buch sehr praxisnah. Was leider fehlt – und das ist nicht als Vorwurf gemeint, da dieses Defizit fast alle einschlägigen Publikationen teilen – ist die Perspektive auf den Konsumenten.

Denn auch wir Verbraucher werden dank Smartphone und Apps technologisch aufgerüstet. Bald wird jeder K.I.-basierte Tools haben, die Kaufentscheidungen vorbereiten oder sogar treffen, die Informationen sammeln und ungewünschte Werbung abblocken. Dann haben wir ein posthumanes Marketing – Maschinen versuchen die Entscheidungen von Maschinen zu beeinflussen. "Künstliche Intelligenz in der Markenführung" wird nicht das letzte Buch zum Thema bleiben. 


Dirk Engel

 

Weiterführende Informationen

Christian Scheier / Dirk Held: Künstliche Intelligenz in der Markenführung – Der effiziente Weg den Erfolg von Marken zu steuern; Haufe, Freiburg 2020; 188 Seiten, 39,95 €, ISBN 978-3-648-13467-0