Auf der Suche nach Selbstbestimmung im medialen Multiversum

Die qualitative Studie „new life – new media“ beleuchtet den Zusammenhang zwischen Lebensgefühl und Mediennutzung der 16- bis 39-Jährigen. TV ist in dieser digital durchgetakteten Altersgruppe die Plattform für Entlastung und lineare Erlebnisse.

Die Ad Alliance-Studie basiert auf einem dreistufigen methodischen Ansatz: Im ersten Schritt lernten die Forscher:innen die Teilnehmer:innen in kurzen Interviews kennen. Anschließend wurde via WhatsApp direkt ins Medien-Leben der jungen Generationen gezoomt: Mit Hilfe von vielen Fotos und Sprachnachrichten konnte ein besonders umfassender Eindruck der Mediennutzungs-Realität gewonnen werden. Basierend auf diesen Insights wurden im dritten Schritt ausführliche Tiefen-Interviews mit den Proband:innen geführt.

Auch Freizeit muss geplant sein

Die Studie deckt auf, dass Mindset und Lebensgewohnheiten in der Kohorte der 16- bis 39-Jährigen sehr individuell und heterogen sind. Nach der Corona-Pandemie haben sich die Lebensrhythmen noch stärker individualisiert, so hat z.B. die Möglichkeit zum Homeoffice mehr Freiräume geschaffen. Die Erfahrungen der Corona-Pandemie haben auch dazu geführt, dass bewusster mit der Zeit umgegangen wird – auch in der Freizeit. Man möchte sich nicht mehr nur „zurücklehnen“, sondern auch die Freizeit soll „sinnvoll“ genutzt werden.

Es wird eher kurzfristig und impulsgesteuert geplant. Was man positiv als größere Flexibilität einstufen könnte, führt in der Praxis oft zu einer Fragmentierung des Alltags. Das wiederum widerspricht dem Anspruch, möglichst effizient zu sein. Insgesamt fällt der deutlich spürbare Leistungsanspruch dieser Kohorte auf: Der Anspruch, im Leben mithalten zu können und sich dabei sinnvoll und individuell zu fühlen.

Junge Generationen im Griff der digitalen Parallelwelt

Der Umgang mit Medien zeigt, dass diese nicht nur sehr aktiv genutzt werden, sondern zum grundlegenden Bestandteil der eigenen Identität werden. Man drückt sich über Medien nicht nur aus, das eigene Leben verlagert sich auch immer mehr in eine digitale Parallelwelt. In dieser Parallelwelt sind Medien und ihre Algorithmen identitätsbildend geworden (bspw. „mein Jahr“ auf Spotify).

Dieser sehr aktive Umgang mit Medien und dort generiertem Feedback hat nicht nur positive Seiten: Die Suche nach Selbstbestimmung kann sehr anstrengend werden, das Suchtpotenzial ist groß. Proband:innen beschreiben ein sinnloses Treiben durch die Medien, „Netflixen“ parallel zur Arbeit oder bis tief in die Nacht.

Gleichzeitig wird der Wunsch formuliert, endlich „mal zur Ruhe zu kommen“, digital auszusteigen. Man erzählt von ganz „basalen“ Erlebnissen mit Haustieren, Familie oder in der Natur. Nicht-digitale, lineare Erlebnisse werden wieder wichtiger – Spazierengehen war bei Jugendlichen noch nie so hoch im Kurs!

Lineares TV sorgt für Struktur im hyper-individualisierten, digitalen Medienbudget

Das persönliche Medienbouquet in der Kohorte der 16- bis 39-Jährigen wird aber nicht nur bestimmt von Social Media in allen Varianten, sondern auch von Streaming-Anbietern wie Netflix, Amazon Prime Video oder RTL+ sowie von Musikstreaming bzw. Podcasts. Die Vielfalt der Angebote wird als Freiheit empfunden.

Alle medialen Plattformen haben spezifische psychologische Nutzungsmotive: Instagram bietet Lebendigkeit und Erweiterung des eigenen Horizonts, YouTube macht ein Entwicklungsangebot.

Lineares TV verschafft Anschluss an die Welt – ohne die Anstrengungen der digitalen Parallelwelt. Das Angebot wird bewusst und selektiv ausgewählt, die Struktur der festen Zeiteinheiten sorgt in der unruhigen Welt für Sicherheit. Außerdem kann TV die Sehnsucht nach linearen Erlebnissen stillen: Bestimmte TV-Formate werden als Events mit Freunden zelebriert (und dadurch als sinnvoll genutzte Freizeit erlebt). Zapping oder nicht-mediale Nebentätigkeiten sind bei der Nutzung von Sendungen aus dem linearen TV oder den Sender-Mediatheken in der Alterskohorte der 16- bis 39-Jährigen kaum zu beobachten.

Lineares TV ermöglicht auch einen unkomplizierten Anschluss an die Ereignisse in der Welt – ohne Aufwand, in einer entspannten Verfassung. Im linearen Programmfluss kommt man zudem auch in Kontakt mit Themen, die man in anderen Medien vielleicht nicht aktiv selektiert hätte.

Fazit: Im Mittelpunkt stehen bei den 16- bis 39-Jährigen Kontrolle, Optimierung und Effizienz – auch bei der Freizeitgestaltung. Ein großer Teil der medialen Aktivitäten dieser Alterskohorte dreht sich um die Identitätsfindung und -Bildung auf Social Media-Plattformen. Viele andere Medien werden ebenfalls primär im Lean-Forward-Modus genutzt. Im Vergleich dazu entlastet das klassische TV durch die typische Lean-Back-Verfassung bei der Nutzung, schafft aber auch Anlässe für Live-Events mit Freunden. Der Programmfluss stillt den Bedarf nach linearen Erlebnissen.

 

*Methodik: Kennenlern- und Tiefeninterviews sowie Exploration der Mediennutzung in einer WhatsApp-Community mit n=28 Personen zwischen 16 und 39 Jahren. Angereichert wurde die WhatsApp-Community mit weiteren n=36 Teilnehmenden, um ein breites, valides Bild zu erhalten. Feldzeit: Oktober/November 2022.

Ad Alliance-Studie: New life - new media