Corona-Update: Zögerliche Neusortierung des Lebens

Studien-Update zur emotionalen Verfassung der Deutschen in der Corona-Krise.

Zu Beginn des Jahres 2021 bewegten sich die Deutschen noch in einem emotionalen Spannungsfeld zwischen "die Luft ist raus" und "ich könnte jeden Tag heulen". Ein knappes halbes Jahr später ist der Corona-Virus immer noch im Hinterkopf ständig präsent, die Pandemie weiterhin fester Bestandteil des Alltags – das zeigt das Update der qualitativen Corona-Studie* der Ad Alliance.  

Basismaßnahmen, wie Abstands- und Hygieneregeln sind nach wie vor gültig, viele arbeiten weiterhin im Home-Office oder unter speziellen Auflagen vor Ort, soziale Kontakte sind nur im "angemessenen Rahmen" wieder möglich. So leben die Deutschen weiterhin eher in einem abgeschwächten Krisen- statt im Gestaltungsmodus: Es wird weiterhin durchdacht, geplant, ausgelotet – und dann doch verschoben. Veränderungen manifestieren sich im persönlichen "Nahbereich" als Ergebnis der Auseinandersetzung mit persönlichen Zielen und mit früheren Prioritäten. Dinge, die früher als selbstverständlich wahrgenommen wurden, werden nun mehr wertgeschätzt.  

Das Beziehungsgeflecht ist aufgeräumter: Lockere Bekanntschaften sind verlorengegangen, während familiäre Beziehungen nun intensiver gepflegt werden. Auch die persönlich genutzte Infrastruktur hat sich verändert: Fokussiert auf das eigene Viertel werden Geschäfte und Orte vor der eigenen Haustüre neu entdeckt.  

Selbstreflektion wird zur Filterfunktion beim Konsum 

Generell spiegelt sich das "in sich Gehen" und die Neuordnung der Prioritäten stark im Konsum wider. Im Laufe der Pandemie wurde das Bewusstsein jedes einzelnen geschärft, dass sein Handeln Konsequenzen hat und nicht nur Einfluss auf das eigene Leben nimmt, sondern auch auf das anderer und der Umwelt. Verbrauch, Besitz (und Müll) werden neu bewertet und kritisch hinterfragt, es wird stärker abgewogen zwischen Wunsch und Notwendigkeit.  

Die stärksten Veränderungen hat Corona einerseits im Lokalen, andererseits im Digitalen ausgelöst. Digital werden die große Produktauswahl und die bequemen Liefermöglichkeiten geschätzt, ebenso neue Shopping-Konzepte wie "Click & Collect", die gekommen sind, um zu bleiben und die Customer Journey dadurch noch individueller machen. Auf der anderen Seite haben Initiativen wie #supportyourlocal sowie der zeitweise eingeschränkte Bewegungsradius dafür gesorgt, seine Umgebung bewusster wahrzunehmen und seinen Einfluss als Konsument gezielter einzusetzen, um lokale Anbieter zu unterstützen. Dies möchte man auch weiterhin tun.  

Abgesehen von Gütern des täglichen Bedarfs gilt für den Konsum: "Aufgeschoben ist nicht aufgehoben." Die Zeit zu Hause wurde genutzt, um Kleiderschränke auszumisten, Gärten und Wohnräume zu entrümpeln, umzuräumen und die eigene Wohlfühl-Oase auf Vordermann zu bringen. Das Geld für größere Anschaffungen und Urlaube wurde allerdings gespart – und steht zur Verfügung, wenn sich die Lage dauerhaft entspannt.  

Corona hatte auch Auswirkungen auf die Ernährung, denn im Lockdown wurde Essen zum Dreh- und Angelpunkt des Alltags. Auf der einen Seite wurde sich mehr „gegönnt“ und „gehen gelassen“, auf der anderen Seite auch die Chance genutzt, den Körper zu optimieren. Die oft zitierten "Corona-Pfunde" haben manche Menschen zugelegt, andere dagegen verloren. Nachhaltige Veränderungen in der Ernährung sind bislang aber eher selten zu beobachten. Allerdings haben Bewegung und Sport an Relevanz gewonnen. 

Corona schafft ein neues digitales Miteinander im Beruf und im Privaten 

In vielen Haushalten sind die eigenen vier Wände zum Arbeitsplatz geworden. Diese anfänglich ungewohnte Situation des neuen (digitalen) Miteinanders von Beruf und Privatsphäre hat sich nahezu zur Normalität entwickelt, deren Flexibilität geschätzt wird. Weil man diese Flexibilität beibehalten will, werden nicht nur die Rahmenparameter mit dem Arbeitgeber neu ausgehandelt – gleichzeitig wird die berufliche Situation insgesamt neu bewertet.  

Die Mediennutzung bleibt im Wandel 

In der Pandemie (und insbesondere in den Lockdown-Phasen) haben veränderte Ansprüche zu deutlichen Veränderungen in der Mediennutzung geführt. Geschätzt wurden neben verlässlichen Informationen aus bewährten Quellen auch hochwertige Unterhaltungsangebote. Da mit Ende des Lockdowns ein Stück des Alltags zurückgekehrt ist, nimmt die Relevanz von Angeboten ab, die das reale Leben ersetzen.  

Das lineare Fernsehen hat sich in der Pandemie nicht nur als zuverlässiger Alltagsbegleiter und als Quelle für fundierte Informationen bewährt, es war auch ein Garant für Struktur in einer Zeit der Unsicherheiten. Daneben sind während der Pandemie gerade in älteren Zielgruppen spezifische Kanäle in den Fokus gerückt – dazu gehören Streamingangebote, die (oftmals nur vorübergehend) für interessenbezogene Feelgood-Momente abonniert werden. Auch Podcasts gewinnen weiter an Bedeutung und werden ebenfalls deutlich häufiger auch von Älteren bei der Medienauswahl in Betracht gezogen. Jüngere Befragte berichten dagegen, dass ihnen Hörbücher gerade jetzt dabei helfen, zu entspannen. 

Insgesamt betrachtet, ist man offener für neue Angebote als vor der Pandemie. Abos stellen kein langfristiges Commitment mehr dar: Sie werden bei Bedarf eher abgeschlossen – und ebenso schnell auch wieder gekündigt. 

Das Update zur Qualitativen Corona-Studie zeigt: Die Pandemie hat in vielen Lebensbereichen zu Einstellungsänderungen geführt, die über die Lockerungen hinaus nachwirken. Konsum wird stärker reflektiert, Nachhaltigkeit spielt eine größere Rolle als früher. Die Customer Journeys werden (noch) individueller. Im Medienbereich wurden viele Angebote neu- oder wiederentdeckt, die das persönliche Medien-Portfolio erweiterten. Gleichzeitig wurde (mangels Freizeitalternativen) auch mehr Zeit für die Nutzung aufgewendet. Inzwischen zeichnet sich wieder eine bewusstere Auswahl ab. In der Arbeitswelt werden Strukturen und Rahmenbedingungen stärker hinterfragt: Die während der Lockdowns zwangsweise eingeübte Flexibilität wird von vielen Befragten sehr geschätzt.  

 

*Studiendesign:  
Auf Basis eines klassischen, qualitativen Studiendesigns hat der Fachbereich DATA Alliance der Mediengruppe RTL wiederholt insgesamt 20 Tiefeninterviews,  sowohl Face-to-Face als auch remote, durchgeführt. Befragt wurden Personen im Alter von 18 bis 59 Jahren, die mindestens gelegentlich lineares Fernsehen schauen, verschiedene TV-Sender und auch sonstige Medien, wie Streaming, Print und Social Media, nutzen. Berücksichtigt wurden bei den tiefenpsychologischen Interviews auch eine ausgewogene Verteilung hinsichtlich Geschlecht, Lebenssituation und Berufstätigkeit, um hier möglichst viele Aspekte abbilden zu können.