Hype um Brettspiele und Puzzle

Kurzer Retro-Trend oder echter Zukunftsmarkt?

Auf einmal waren sie überall. In Instagram Stories, auf Pinterest und anderen Social Networks kam man nicht mehr um Brettspiele und Puzzles herum. Ein Lockdown, abgelöst von sommerlichen Freiheitsgefühlen, hatte dafür gesorgt: Die Hersteller von gehören zu den großen Gewinnern des Krisenjahres 2020. Aber warum ist das so, wie geht es mit dem Trend in einer Post-Corona-Welt weiter und was lernen wir daraus über den aktuellen Zeitgeist?

Weiter, weiter, immer weiter: Der Markt wächst

Gute bis sehr gute Wachstumsraten sind für die Gesellschaftsspiel- und Puzzlebranche nichts Neues.1 Und dann kam die Pandemie und der Lockdown dazu – und damit die weiter steigende Beliebtheit dieser Produkte. Laut Eurotoys Market Overview verzeichnet die Kategorie Brettspiele und Puzzle 2020 eine Umsatzsteigerung von 21 Prozent im Vergleich zu 2019. Das führt zu einem Abverkauf in Höhe von annähernd 460 Millionen Euro allein in dieser Kategorie.2 Auch der Branchenverband Spieleverlage e.V. verweist auf stark steigende Absatzzahlen, die insbesondere durch Erwachsenenspiele getrieben werden, deren Abverkauf im Jahr 2020 um knapp 30 Prozent gestiegen ist, dicht gefolgt von Kinderspielen und Kartenspielen mit jeweils 13 Prozent.3

Laut Google Trends wurden Suchbegriffe wie "Brettspiel" oder "Gesellschaftsspiel" in den letzten fünf Jahren in Deutschland im Herbst, wenn die Tage kürzer werden, häufiger gesucht als im Rest des Jahres. Im Pandemiejahr 2020 ist das allerdings anders: Insbesondere im März, also zu Beginn des Lockdowns, aber auch in den restlichen Monaten des Jahres 2020 wird häufiger nach diesen Begriffen gegoogelt als in den Vergleichsmonaten der Vorjahre.

Auf der Website Kickstarter kann man in Ideen investieren und wird entsprechend an Gewinnen beteiligt. Hier zeigt sich eine ähnliche Entwicklung bezogen auf die Branche: Dort stieg der Ertrag von Investments in erfolgreiche Brettspielideen von rund 85 Millionen Dollar im Jahr 2015 auf ganze 176 Millionen Dollar in 2019 – und das während Investments in erfolgreiche Video Games in dieser Zeit zurückgingen.4

Der deutsche Puzzle-Hersteller Ravensburger hat es im April 2020 sogar in die New York Times geschafft. Im NYT-Artikel verweist Thomas Käppeler, President Ravensburger North America, auf mögliche Gründe für das Wachstum: Ein Puzzle, so Käppeler, biete die Möglichkeit sinnbildlich an verschiedene Orte oder sogar in eine andere Zeit zu reisen.5 Klingt nach einer guten Idee für 2020! Das fanden wohl auch sehr, sehr viele andere Menschen. So konnte sich Clemens Maier, Ravensburger-Chef und Gesellschafter des Spieleverlags, dann im Dezember 2020 über 20 Prozent mehr Umsatz im Pandemiejahr freuen.6

Auf der Suche nach Gründen: Was steckt hinter dem Trend?

Aber was sind die Gründe für diese Entwicklung? Und was sagt das über den aktuellen Zeitgeist aus? Bei der Beantwortung dieser Fragen lohnt es sich, die Gesellschaft sprichwörtlich auf die Couch zu legen und genau zuzuhören. Eine, die das aus forscherischer Perspektive tut, ist Ines Imdahl, Geschäftsführerin vom Rheingold Salon in Köln. "Seit März befinden wir uns in einer seelischen Fassungslosigkeit", schreibt die Psychologin zum Puzzle-Trend auf dem Marktforschungsportal planung & analyse.7 Aus Imdahls Sicht hat der Puzzle-Trend vor allem psychologische Gründe: Die Pandemie habe Gewohnheiten, Abläufe und Strukturen des Alltags aufbrechen lassen, teils würden diese gänzlich wegfallen. Dazu gehöre zum Beispiel der Weg zur Arbeit, aber auch sämtliche Freizeitaktivitäten, die sonst mit Sozialkontakt gestaltet wurden.

Zu der neuen Realität gehöre auch, dass wir uns ständig auf Neues einstellen müssten: Neue Arbeitsstrukturen, Tagesabläufe, Planungsunsicherheit. Imdahl analysiert das, was sie in Befragungen erlebt: Deutschland renoviere, sortiere, räume auf. Tätigkeiten, die ihrer Ansicht nach, dem Puzzeln ähnelten. Aber warum? Das Puzzle biete die Möglichkeit, Struktur zu erzeugen und stille symbolisch das Bedürfnis, wieder Ordnung zu schaffen. Viele einzelne Puzzleteile führen am Ende zu einer neuen Struktur.

Anders als der Umgang mit der Pandemie, ordne das Puzzeln laut Imdahl unser Innenleben in eine feste ineinandergreifende Struktur. So gelingt uns im Puzzeln das, was der Alltag und das Arbeitsleben aktuell nur selten bieten. Das Puzzeln bediene also eine tiefenpsychologische Funktion und sei mehr als ein bloßer Zeitvertreib.

Doch der Trend schließt nicht nur Puzzle ein, auch Gesellschaftsspiele generell. In Erklärungsversuchen zum eigenen Erfolg verweist die Branche auf die Rolle von Spielen und Puzzeln in der pandemiebedingten Freizeitgestaltung und insbesondere im häuslichen Krisenmanagement. Weil Sportvereine, Kitas oder Spielplätze geschlossen bleiben, stehen nicht ausschließlich, aber insbesondere Eltern vor der besonderen Herausforderung, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, die am besten auch sinnvoll sind. Gemeinsames Spielen im kleinen Kreis ist da nicht nur regelkonform, sondern stärkt die soziale Kompetenz, da gruppendynamische Prozesse gelernt und geübt werden.

Eng verzahnt mit anderen Trends

Pandemiebedingt suchen wir nach attraktiven Alternativen zur gemeinsamen Freizeitgestaltung. Gleichzeitig leben wir in einer Zeit, in der viele Alltagsbereiche aus den Fugen geraten sind. Puzzle und Gesellschaftsspiele bieten eine Möglichkeit, symbolisch Ordnung und Struktur zu schaffen. Bei genauem Hinschauen zeigt sich aber auch, dass Gesellschaftsspiele und Puzzle in vielen anderen aktuelle gesellschaftlichen Trendthemen eine wichtige Rolle spielen.

Hier ist der Trendbegriff "Slow down" zu nennen, der die Sehnsucht nach fokussierter Entschleunigung beschreibt. Gesellschaftsspiele fungieren als entschleunigende, vor allem aber analoge Freizeitbeschäftigung. Selbst Kinderklassiker wie "Malen nach Zahlen" gibt es nun als Erwachsenenvariante. Der englische Spielehersteller Gibsons bietet sogar Puzzle mit extra für Millennials gestalteten Motiven an (Tipp des Trend Research Teams: Avocado-Puzzle!). Die Tatsache, dass Gesellschaftsspiele eine Kombination aus analog-sozialem Event, Quality Time und sozialer Entschleunigung sind, macht sie ebenfalls zu einem Erlebnis, das unmittelbare Resonanz bietet: Spielen wir in der Gruppe, erleben wir eine Vielzahl von Aspekten, die sowohl in der realen Welt als auch in der digitalen Welt zu sozialer Anerkennung führen. Die Insta-Story vom Spieleabend vermittelt der eigenen Community die authentische Message "Schaut her, ich erlebe was" – und das mit engen Freunden oder Familie, im Idealfall "Corona-konform".

Schön und gut. Aber was ist mit den Alleinlebenden wie Singles oder einfach Paaren, denen die Mindestspieleranzahl für das Lieblingsgesellschaftsspiel fehlt? Kein Problem, denn es sprießen immer mehr Anbieter aus dem Boden, die Klassiker wie "Siedler von Catan" oder "Wizzard" als Online-Variante im Mehrspielermodus anbieten. Der Trend hat es natürlich auch auf YouTube geschafft. Wer etwa seine Fähigkeiten trainieren möchte, findet eine Vielzahl von Spieltipps oder Live-Streams von Profigamer-Spielen ganz im Stile der E-Sports-Verwandtschaft.

Ein Trend, der bleibt

Doch wie geht es weiter nach der Pandemie? Die Indizien, dass erstens die Gesellschaftsspiele- und Puzzle-Branche auch vor der Pandemie steigendes Wachstum vorweisen konnte und zweitens die soziale wie psychologische Dimension des Spielens und der dazu gehörigen Situation eng mit anderen, längerfristigen Trends wie Entschleunigung oder Digital Detox verbunden sind, verweisen darauf, dass das Thema weiterhin von Bedeutung sein wird. Es ist auch denkbar, dass die analoge Welt der Gesellschaftsspiele mit der digitalen Welt weiter verschmilzt und symbiotische Spielformen aufkommen. Digitale Spielstände, VR-Brettspiele, physische Spielfelder mit digitalen Elementen – es bleibt spannend.
 

1Spieleverlage e.V., 2019, 2020: https://www.spieleverlage.com/spiele-puzzle-ein-attraktives-thema-spielen-weiter-voll-im-trend/
2npdgroup Deutschland / Eurotoys Handels-Panel, 2021
3Spieleverlage e.V., 2020: https://www.spieleverlage.com/spiele-als-unterstuetzung-im-haeuslichen-krisenmanagement/
4"Tabletop gaming dominated Kickstarter in 2019", Polygon, 22.01.2020: https://www.polygon.com/2020/1/22/21068797/kickstarter-2019-board-games-video-games-tabletop-data-china-tariffs-trump
5"Here’s How Those Hot Jigsaw Puzzles Are Made", NYT, 08.04.2020: https://nyti.ms/2URkNtd
6"20 Prozent mehr Umsatz: Ravensburger-Chef verkündet Puzzle-Boom in der Pandemie", Handelsblatt, 01.12.2020: https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/clemens-maier-20-prozent-mehr-umsatz-ravensburger-chef-verkuendet-puzzle-boom-in-der-pandemie/26673598.html?ticket=ST-9438935-KfnVEmi4ljb6eazC2GiY-ap4
7"Warum jetzt alle puzzeln und das mehr als ein Zeitvertreib ist.", horizont.net, 05.01.2021: https://www.horizont.net/planung-analyse/nachrichten/warten-auf-das-new-normal-warum-jetzt-alle-puzzeln-und-das-mehr-als-ein-zeitvertreib-ist-188204