// STUDIE - VERÖFFENTLICHT 2020

Interview zur digital natives Studie 2.0

Digital Natives sind ausschließlich digital unterwegs und streamen nur noch – dieser Mythos hält sich hartnäckig, ist so aber nicht richtig. Im Interview erläutert Dr. Tanja Boga, Facit Research, spannende Insights aus der Digital Natives Studie 2.0.

Frau Boga, Sie haben es wieder getan - genau hingeschaut, wie es um die Mediennutzung der Generation Y und Z steht. Kernergebnis Ihrer Studie "Digital Natives 2.0" ist, dass diese Generationen Multi-Nutzer aller relevanten Bewegtbildkanäle sind, Heavy-Streamer sind hingegen eher die Ausnahme. Damit untermauern Sie Kernergebnisse bisheriger Videonutzungsstudien. Wie schätzen Sie, als erfahrende Marktforscherin, die Koexistenz der Kanäle ein? Sind Sie überrascht oder entspricht es Ihren Erwartungen?

Unsere 2.0-Studie bestätigt in erster Linie das, was uns damals bei der Erstauflage überrascht hat – nämlich, dass die Natives trotz ihrer digitalen Affinität nicht auf digitale Kanäle und Devices per se festgelegt sind. Das war ja die Haupthypothese, die wir damals widerlegt haben – die Natives sind eben nicht komplett digital. 
 
Die Mischung aus linearer TV-Nutzung und On-Demand-Mediatheken-Nutzung entspricht hierbei durchaus meiner Erwartung, letztendlich spiegelt sich in dieser Nutzung ja auch die Angebotsseite wider. In Nachfolgestudien werden wir dies noch genauer unter die Lupe nehmen, da verschiedene Player immer stärker in ihre digitalen Angebote investieren.
 
Digital Natives sind social, sind Streamer, sind Gamer, das Smartphone ist die gegebene Technologie und die Gen Z wächst sogar mit Künstlicher Intelligenz auf. Von der Generation, die die Zukunft prägt, wird ein anderes Mediennutzungsverhalten geradezu erwartet. Ist das so? Wie digital sind die Digital Natives tatsächlich? Gibt es ein Ergebnis, dass Sie persönlich überrascht hat?

 In unserer Studie hat sich auch dieses Mal gezeigt: Die Digital Natives sind nach wie vor Bewegtbild-Heavy-User und wollen die jeweiligen Stärken der Kanäle optimal für sich nutzen. TV etwa für Nachrichten und Live-Events, Streaming-Angebote für ausgewählte Serien. Beim Stichwort „Generation Smartphone“ müssen wir außerdem unterscheiden zwischen der konkreten Nutzungssituation: Sicherlich ist es so, dass die Natives „always-on“ und praktisch jederzeit über Messenger erreichbar sind. Bei Bewegtbild-Inhalten gibt es aber eher eine Präferenz in Richtung größerer Screens.
 
Im Vergleich zu Ihrer letzten Erhebung 2017 – gibt es wesentliche Veränderungen im Mediennutzungsverhalten?

 Von wesentlichen Veränderungen würde ich nicht sprechen, dafür ist der zeitliche Abstand vielleicht auch zu gering. Alles in allem sieht man aber schon, dass die Affinität zu Streaming-Content zunimmt – was natürlich auch damit zu tun hat, dass mehr und mehr Content auf Anbieterseite entsteht. Das größer werdende Angebot generiert Nachfrage. In dieser Hinsicht dürfte unsere 3.0-Studie sehr interessante Ergebnisse liefern, da 2020 neue Streaming-Anbieter, wie etwa Disney+ oder AppleTV+, in den Markt eintreten. Es wird spannend sein zu sehen, wie die Natives – die ja typischerweise über ein begrenztes Budget verfügen – dieser Marktfragmentierung begegnen. Werden sie sich auf ein paar wenige Anbieter konzentrieren? Oder erlebt sogar das illegale Streaming eine Renaissance?    

Die Gen Y hat Facebook und Instagram groß gemacht und sich darüber selbst verwirklicht, bei der Gen Z rücken Snapchat und TikTok in den Fokus. Die Generation der Jahrtausendwende unterliegt stärkeren globalen Einflüssen als alle anderen Generationen. Was schätzen Sie, inwieweit wirkt sich das auf ihr Mediennutzungsverhalten aus – heute und auch zukünftig?

 
Früher entschieden eine Handvoll Medienunternehmen, worüber die Leute gesprochen haben. Heute sind auch User Content-Produzenten. Was wichtig ist, entscheidet also nicht mehr nur der Journalist, sondern auch der Schwarm – mehr noch: An der Fridays for Future-Bewegung sieht man, dass die Generation Z einem Thema eine gewisse Anschubrelevanz geben kann, ohne dass klassische Medien involviert sind. Themen kommen so für ältere Generationen scheinbar „aus dem Nichts“. Um ein Thema, wie auch die Fridays for Future-Bewegung, allerdings in die Breite zu tragen, ist die Unterstützung von klassischen Medien nach wie vor unabdingbar.


Wenn Digital Natives Thema sind, geht es meist um Themen wie Individualisierung, Personalisierung, sinnvollen Konsum oder auch darum, dass sie politischer sind. Was bedeutet das für die Kommunikation mit der Zielgruppe im Allgemeinen und für die Markenkommunikation im Speziellen?
 
Ein wesentlicher Treiber für unsere eigene Grundlagenforschung in diesem Gebiet war immer, dass wir nicht pauschal an die eine Beschreibung der Digital Natives geglaubt haben – womöglich sind die heutigen jungen Menschen sogar wesentlich heterogener als vorherige Generationen. Stehen die Natives auf Personalisierung? Manche ja, manche haben diesbezüglich aber Vorbehalte wegen Datenschutz. Sind sie politisch? Teilweise mag das stimmen. Es war schon immer zu vereinfacht, eine Generation als ein homogenes Gebilde anzusehen. 
 
Die Zielgruppenentwicklung sollte sich deshalb nicht nur rein demographisch am jungen Alter orientieren. Stattdessen geht es darum, je nach Produkt und Kampagnenziel, relevante Einstellungen oder ein bestimmtes Verhalten zu identifizieren. Möchte ich Menschen mit einem bestimmten Mindset erreichen? Sollte die Zielgruppe in der Vergangenheit bereits ein gewisses Kaufverhalten an den Tag gelegt haben? Diese strategischen Entscheidungen haben dann zugleich auch Implikationen für die Markenkommunikation, also für die Entwicklung von Botschaft und Kreation.

 Wir haben sehr gute Erfahrung gemacht in der Kombination verschiedenster Merkmale: Ja, auch soziodemografische Merkmale, kombiniert mit verhaltensbasierten (bspw. ein bestimmtes Kauf- oder Nutzungsverhalten) und vor allem auch psychografischen (auf das Mindset bezogenen) Merkmalen. 
 
In der Regel laufen Entwicklungen über viele Jahre, schaukeln sich auf und werden dann interessanter, wenn sie mehrheitsfähig werden. Was glauben Sie, welche Entwicklung wird für eine so komplexe Zielgruppe als nächstes mehrheitsfähig sein?

Ich fand unsere Ergebnisse zur Social-Media-Nutzung sehr spannend, die aufzeigen, dass sich diese Nutzung anscheinend mehr und mehr in private Messenger-Räume zurückzieht. Ich glaube, dass das ein Ausdruck einer gestiegenen digitalen Kompetenz der Digital Natives ist, die nicht mehr wie in früheren Jahren dazu bereit sind, uneingeschränkt Daten zu teilen. Momentan ist es vielleicht so, dass die 50-jährigen Eltern der Natives relativ unbekümmert mit ihren Daten umgehen, während ihre Kinder – da sie direkt in diese Welt hineingeboren wurden – hier eine wesentlich höhere Kompetenz aufweisen. Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Kompetenz über die jungen Zielgruppen hinaus, wenn auch langsam, in andere Alterskohorten vordringt.
 
Vielen Dank für das ausführliche Interview und alles Gute weiterhin!

Hier gibt es Informationen zur Digital Natives Studie 2.0.

Studien-Facts
Studienthematik
Mediennutzung
Publikationsdatum
2020
Medien
Digital
Zielgruppen
14 - 29 Jahre
Ansprechpartner
Schümann, Sandra [RTL Deutschland]
Advertising Research I
+49 221 456-71087