Der Trost der Marken

Sorge und Ermutigung, Langweile und Aufbruch – während der Pandemie ist die psychische Verfassung der Deutschen starken Spannungen ausgesetzt. Hier können Marken helfen, Konflikte zu entschärfen. Durch vertraute Marken fühlen wir uns sicherer, Werbung kann neue Verhaltensweisen, Inspiration und Vorbilder zeigen. Das erläuterte Judith Behmer, psychologische Marktforscherin beim Kölner rheingold institut, in ihrem Vortrag für das 2. Screenforce Expertenforum in diesem Jahr. Es war das erste, das komplett digital als Livestream stattfand und so eine große Zahl von Zuschauern erreichte.

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Judith Behmer gehört zur Geschäftsleitung des rheingold instituts, das sich auf tiefenpsychologische Studien spezialisiert hat und der morphologischen Marktforschung verpflichtet ist. Über das Jahr werden tausende von qualitativen Interviews zu den verschiedensten Themen geführt, auch in den vergangenen Monaten der Pandemie. Auf Basis dieser Gespräche zeichnete die Referentin eine Art Landkarte der psychologischen Wirkfelder. Denn unser Unbewusstes suche immer nach Orientierung und findet sie in alltäglichen Tätigkeiten, bei Einkauf und Konsum und natürlich in der Mediennutzung.

Derzeit sei aber alles anders. „Es ist so, als ob wir wieder in der Steinzeit sind,“ meint Behmer. Corona und Lockdown haben uns in eine Lage versetzt, in der Gewissheiten und alltägliche Routinen plötzlich in Frage gestellt werden und neue Verhaltensweisen gefunden werden müssen. Produkte – vom Kaffee bis zum Duschgel - helfen uns durch den Tag mit ihren funktionalen Benefits, Marken steuern dazu die Bilder in unseren Köpfen bei. Die Psychologin erläuterte die Felder, die unsere Verfassung während der Corona-Zeit psychologisch beschreiben. Zum ersten würden die Menschen sich darum kümmern, ihr „Überleben zu sichern“. Geschlossene Geschäfte, lange Schlangen und leere Regale erleben viele Deutsche zum ersten Mal. Plötzlich muss man mit Mangel umgehen – und sei es nur der Mangel an Klopapier. Die besondere Bedeutung dieser Ware kann die Psychologin erklären – auf das Töpfchen zu gehen, sei das erste, was ein Kind lerne zu kontrollieren. Dementsprechend treibe die Angst vor einem Kontrollverlust uns um und entlade sich beim Hamstern von Toilettenpapier.

Des Weiteren suchten wir „Trost im Vertrauten“. Hier können Produkte – von der Schokolade bis zum warmen Schaumbad  helfen. Sie geben uns, trotz aller Unsicherheiten der Lage, ein gutes Gefühl. Das weitere Feld bezeichnet Behmer als „ermutigende Aktivierung“: Es gehe darum, aus der Schockstarre auszubrechen und sinnvolle Dinge zu tun. Dies könne man gut an den Produkten und Geschäften beobachten, die während des Lockdowns boomen: Es wurde vermehrt gekocht, gebacken, im Garten gearbeitet und im Haus renoviert. Noch einen Schritt weiter ginge das letzte psychologische Feld, dass Behmer als „Aufbruch in neue Welten“ bezeichnete. Die Überlegung, wie wir als Gesellschaft in Zukunft leben wollen, beschäftigte viele während der Pandemie. Zwischen diesen vier Bereichen entfaltet sich derzeit der Krisenkonsum der Deutschen.

Erschwerend komme hinzu, dass die herkömmlichen Mittel zur Verbesserung der persönlichen Stimmung nicht zur Verfügung ständen – Ausgehen, Reisen, Kulturangebote sind kaum möglich. Die Verbraucher denken darüber nach, welche Produkte ihnen wirklich helfen und welchen Ballast man abwerfen kann – das zeige sich darin, dass viele Menschen die Lockdown-Zeit zum Entrümpeln genutzt haben. „Wir sind alle auf einer gemeinsamen Sinnsuche“, meint Judith Behmer. Hier können Marken Angebote machen. Traditionsmarken mit jahrzehntelanger Geschichte können Sicherheit und Rückhalt geben. Die Konsumenten suchten außerdem Inspiration bei Marken, die sie z. B. in Form von Rezepten oder Einrichtungstipps liefern. Ein anderer Aspekt: Wie kann in Zeiten des Abstandshaltens noch Gemeinschaft entstehen? In vielen aktuellen Werbekampagnen fände man Bilder, die Solidarität und Zusammengehörigkeit vermitteln. Auch würden neue Vorbilder gezeigt, etwa die alte Dame, die über das Internet Klavierunterricht gibt.


Die Pandemie sei eine intensive Erfahrung, die sich tief in unsere Psyche eingraviert habe, erläutert Judith Behmer. Um die Geduld der Menschen und die Akzeptanz der Maßnahmen zu fördern, empfahl die Psychologin, dass die Politik die Bürger mehr loben und ihnen Mut machen sollte. Das sei ebenfalls eine Aufgabe der Werbung. „Die Marken müssen uns zeigen, was man aus der Situation machen kann“.


Der Videovortrag von Judith Behmer ist, ebenso wie ihre Präsentation, auf der Website von Screenforce zu finden.