Klein ist das neue Groß: Die Sehnsucht nach Heimat

Neue Wertschätzung: Die Coronakrise beschleunigt den Trend zum Lokalen.

Im Film „Local Hero“ reist ein weltgewandter Mitarbeiter eines Ölkonzerns in ein schottisches Fischerdorf, um es zur Errichtung einer Raffinerie aufzukaufen. Doch der Held wird verzaubert von der Gemeinschaft der Dorfbewohner und vom Charme der Natur - der ehemalige Weltenbürger lernt, das Lokale zu schätzen.

Knapp vierzig Jahre ist der Film alt - aber brandaktuell, wie eine aktuelle Trendscanning Studie zeigt, die das Trend Research Team von Data and Audience Intelligence zusammen mit der Q Agentur für Forschung durchgeführt hat.

Die Studie zeigt: Stadtbewohnerinnen und -bewohner lernten während der Coronakrise, ihre direkte Umgebung auf eine völlig neue Weise zu sehen und zu erleben. Viele Menschen, die sich zuvor eher wenig verbunden zur Nachbarschaft fühlten, entdeckten in der Krise die Freude, Bequemlichkeit und Schönheit des Lokalen. Selbst sogenannte „Nomaden“, die vor Corona flexible, moderne Lebensstile pflegten, entdecken plötzlich die Vorzüge der „Heimat“.

Lebensmittel mit lokalem Touch

Denn das Bekenntnis zur Heimat ist inzwischen cool, der Begriff wird neu interpretiert. Das eröffnet Händlern, aber auch Gastronomen, eine Nische, die das ortlose Internet und überregionale Filialisten nicht bieten können.

Corona macht deutlich: Die regionale Erzeugung ist systemrelevant. Eine aktuelle Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft bestätigt: 83% der Befragten ist es (sehr) wichtig, dass ein Lebensmittel aus der Region kommt.*

Diese Re-Orientierung an regionalen Produkten - und damit auch Speisen und Rezepten - ist auch als Antwort auf die Globalisierung unseres Ernährungssystems und eine wahrgenommene Anonymisierung der Nahrungsmittel zu verstehen.

Die Entfernung bestimmt nicht mehr allein den Wert einer Reise

Diese neue Loyalität zum eigenen Standort zeigt sich auch im Tourismus. Schon vor Corona lag „Slow Travel“ im Trend – passend zur Entschleunigung und zum Ökotourismus. Beim Slow Travel genießt man die emotionale Sicherheit vertrauter Kulturkreise und nimmt sich Zeit für die nähere Umgebung und ihre Bewohner. Mit Corona bekommt das Reisen in der Umgebung (auch gezwungenermaßen) einen zusätzlichen Schub. Daraus entsteht ein neuer Boom an Nah- und Bodenreisen, Camping und Caravaning.

Die Sehnsucht nach der Dorfgemeinschaft

Viele Menschen sind trotz der zahlreichen Möglichkeiten, die das Internet zur Vernetzung bietet, einsam. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft wird auch nach Corona bleiben. Ein Gemeinschaftsgefühl in Städten zu schaffen, wird damit zu einer großen Herausforderung und zum entscheidenden Faktor für die Lebensqualität einer Stadt.

Die Landlust vieler Städter, Sehnsucht nach naturnahen, stressfreien Lebensräumen fördert den Trend zu dörflichen Strukturen innerhalb von Städten. Mit selbst erschaffenen Orten wie Urban Gardening oder Urban Farming schaffen sich lokale Gemeinschaften Inseln gemeinsamer Identität und ländlicher Idylle in ihrer Stadt.

DIY - Creativity goes virtual and local

Um auch in Coronazeiten Gemeinschaft zu erleben, wurden lokale Events digitalisiert: So richteten Künstler Kreativ-Workshops aus, indem sie die notwendigen Materialien in die Haushalte lieferten. Die Workshops fanden dann in Form von „kontaktlosen“ Webmeetings statt.

Hier zeigt sich eine Rückbesinnung auf den eigenen Mikrokosmos: Die Authentizität der lokalen Talente steht im Fokus. Gleichzeitig unterstützt man durch die Teilnahme die Szene vor Ort.

Dieser Trend verbindet zwei Welten: sich etwas zeigen lassen, den Horizont erweitern, etwas lernen - und dabei Lokalität zu leben und zu unterstützen. Durch Corona ist dieser Trend nun auch virtuell möglich, wird nach Corona aber auch wieder in den realen Raum zurückkehren, denn das Analoge kommt aus seiner Gegentrendnische zurück zur Normalität. Das heißt natürlich nicht, dass Digitalisierung aufhört - sie geht nur eine neue Verbindung mit dem Analogen ein. Die Forscher vom Zukunftsinstitut bezeichnen dies als „Real-Digital“**.

Dank Corona wirkt die gelernte Dichotomie „Analog vs. Digital“ plötzlich antiquiert. In der Krise haben Menschen gelernt, das Beste aus beiden Welten zu verbinden.

Fazit: Die Corona-Krise ist der Katalysator, der viele zuvor schon erkennbare Trends zum Lokalen und Regionalen verstärkt hat. Zwangsläufig mussten sich viele Menschen mit dem unmittelbaren Lebensumfeld arrangieren – und haben dessen Stärken erkannt. Es ist kein Zeichen von Weltgewandtheit mehr, das Umfeld und die Heimat zu belächeln. Die bekannte Phrase „Think global, act local“ hat durch Corona einen neuen Subtext bekommen.

Weiterführende Informationen

* Im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat das Meinungsforschungsinstitut forsa von Dezember 2019 bis Januar 2020 rund 1.000 Bundesbürgerinnen und Bundesbürger ab 14 Jahren telefonisch zu ihren Ess- und Einkaufsgewohnheiten befragt. Aufgrund der aktuellen Situation hat forsa im April 2020 zusätzlich rund 1.000 Bundesbürgerinnen und befragt.

** https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/real-digital-retail-tante-emma-lebt/