Deep Insights: Nutzungsverfassungen bei Videoplattformen

Zuschauer haben bestimmte Bedürfnisse, die das Fernsehverhalten beeinflussen. Mit einer psychologischen Analyse hat Ines Imdahl, rheingold salon, die unterschiedlichen Rezeptionsverfassungen erkundet – mit klaren Empfehlungen für die Kreation der Werbespots.

Warum sehen wir fern? Auf den ersten Blick eine einfache Frage, doch das Thema hat viele Facetten. Das zeigte der engagierte Vortrag von Ines Imdahl beim Screenforce Expertenforum in Frankfurt. Die erfahrene Psychologin und Geschäftsführerin des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens rheingold Salon lieferte tiefe Einblicke in die Motive der Fernsehzuschauer. Dabei erklärte sie ebenfalls, welche Sendungsformate, Plattformen und Werbebotschaften zu welchen Bedürfnissen passen.

Imdahl referierte aus einer morphologischen Studie, die für SevenOneMedia durchgeführt wurde und auszugsweise in der Broschüre "Video Impact" publiziert ist. Dabei wurden 33 Menschen in Gruppen- und Einzelinterviews befragt, zudem werteten die Psychologen von rheingold 129 Online-Tagebücher aus. 

Dabei identifizierten die Forscher verschiedene Rezeptionsverfassungen. Sie werden geprägt durch unsere Erwartungen, Bedürfnisse und tägliche Routine, die im Laufe der Zeit abwechseln. Imdahl stellte einige der typischen Muster vor. 

Lernen nur mit laufendem Fernseher

Viele Befragte berichteten davon, dass sie Fernsehen nutzen, um sich für andere (weniger angenehme) Tätigkeiten zu motivieren: "Get Things done". Das gilt nicht nur für klassische "Nebentätigkeiten" wie Essen, Kochen, Bügeln oder andere Hausarbeiten. Selbst Studierende gestanden, dass sie beim laufenden Fernseher lernen würden, obwohl dies ablenkend sei. "Doch ohne TV würden sie die Energie, um anzufangen, gar nicht bekommen", erläutert Imdahl.

Dabei ist das Fernsehen ein Gesellschafter, der am Leben außerhalb der eigenen vier Wände teilhaben lässt, ohne diese zu verlassen. Um es mit den Worten einer Befragten zu sagen: "Hintergrundbeschallung bedeutet Leben." Der riesige Bildschirm im Wohnzimmer verhindere zudem das Gefühl von Einsamkeit, berichtet Imdahl. Die am besten geeigneten Formate für diese Verfassung sind solche, die wenig Aufmerksamkeit erfordern – Sitcoms, Soaps, Reality-Shows. Werbung könne hier manchmal für kurze Momente des Aufmerkens sorgen, wenn sie relevante Produktinfos liefert. 

Belohnung durch TV-Rituale

Eine dem eher entgegengesetzte Rezeptionsverfassung bezeichnete Imdahl mit "Have Things done": Hier würden sich die Zuschauer für einen konzentrierten Fernsehabend im Lean-back-Modus einrichten, Getränke und Knabbereien bereitlegen und es sich auf dem Sofa bequem machen. Das ist oft eine Belohnung dafür, dass die Tagesarbeit erfolgreich verrichtet wurde. Hier seien Spielfilme, gehobene Serien und Shows die bevorzugten Sendungen - aber auch solche mit Tiefgang und Lernanspruch: Dokus, Quiz, Reiseberichte.

Rituale wie das gemeinsame "Tatort"-Schauen am Sonntag sind typisch für diese Verfassung. Allerdings bekomme das Fernsehen hierbei zunehmend Konkurrenz durch Streaming-Dienste, die ebenfalls diese Bedürfnisse gut bedienen. Eine dritte Verfassung sei, so Ines Imdahl, eng mit dem Live-Charakter des linearen Fernsehens verbunden: "See Things happen". Hier möchten die Zuschauer dabei sein, wenn etwas geschieht – sei es ein Fußballspiel oder das lange erwartete Staffelfinale einer Serie oder Show. 

Mediatheken bedienen hingegen eine andere Bedürfnislage, die von der Psychologin als "Catch up with Things" bezeichnet wird: Zuschauer haben das Bedürfnis, etwas Verpasstes rechtzeitig nachzuholen – die Studienteilnehmer würden von einem regelrechten Nachholdruck sprechen. Dafür, so die Beobachtung der Forscher, sei die Bedienungsfreundlichkeit der Mediatheken noch gar nicht richtig ausgerichtet – so dauere es manchmal zu lange, bis eine Sendung abrufbar sei und auch die Auffindbarkeit ließe zu wünschen übrig.

Abkürzung über YouTube

Die vorgestellte Studie untersuchte ebenfalls Rezeptionsverfassungen für Streaming-Dienste wie Netflix & Co. oder Video-Portale wie YouTube. Sie haben zum Teil ähnliche Verfassungen wie das klassische TV, zum Teil aber auch sehr verschiedene. So diene YouTube vielen Menschen als Möglichkeit des schnellen Lernens – immer in der Hoffnung, die Tutorials dort funktionierten wie eine Abkürzung zum Ziel, egal ob es um das Backen eines Kuchens oder das Bestehen einer Prüfung gehe.

YouTube versorge die Fans auch mit emotionalen Abkürzungen – kurze Videos, die sofort Gefühle auslösen. Rührung, Humor, Schadenfreude, sogar Ekel werde schnell und kurz wie auf Knopfdruck ausgelöst. Damit, so Imdahl, helfe das Video-Netzwerk den jungen Menschen dabei, eine bessere Verbindung zu den eigenen Emotionen aufzubauen. 

Zum Schluss ihres Vortrags diskutierte Ines Imdahl die passenden Arten von Werbebotschaften für die jeweiligen Rezeptionsverfassungen. "Die Spots müssen für die jeweiligen Plattformen – und damit für die passende Verfassung – zugeschnitten sein", so der Appell an die Werbungtreibenden.

Vortrag, Präsentation und ein kurzes Interview mit Ines Imdahl sind auf der Website von Screenforce zu finden.